Sagen, Mythen, Märchen

Aphaia – ein Flüchtlingskind aus Kreta

Die Göttin Aphaia (Ἀφαία) war die Hauptgöttin der Insel Ägina. Nur von dort ist eine Kultstätte bekannt. Andere Namen sind Britomartis oder Diktynna.

Der Kult um diese Göttin entstand vermutlich im 14. Jahrhundert v.Chr. Sie war eine Fruchtbarkeitsgottheit, die ihre schützende Hand auch über die Landwirtschaft der Menschen und die gesamte Insel hielt.

Möglicherweise stammt der Kult nicht von Ägina, sondern ursprünglich aus Kreta. Pausanias1 nennt Zeus als Vater. Ihre Mutter sei Karme, eine aus Kreta stammende Nymphe und Halbgöttin. Es wird gesagt, dass Aphaia die Göttin Artemis sehr verehrt habe.

Die Insel Kreta musste Aphaia jedoch verlassen, und das kam so: Minos – ihr Halbbruder – hatte sich in sie verliebt und verfolgte Aphaia ganze neun Monate lang durch die Berge Kretas. Auf einem steilen Felsen blieb sie an einem Myrtenzweig hängen, so dass Minos sie fast gefangen hatte. Sie sprang ins Meer und rettete sich so vor ihm. Dort landete sie in den Netzen von Fischern, die sie auf Ägina in Sicherheit brachten. Artemis erhob sie später in den Rang einer Göttin. So berichtet es Karl Kerényi, der noch eine zweite Geschichte parat hat. Auf Ägina habe ein Fischer die Nymphe vergewaltigen wollen, die sich damals noch Britomartis nannte. Sie sei aber in ein Waldgebiet geflohen, wo dann später der Tempel errichtet wurde. Kerényi selbst hält diese Geschichte für unwahrscheinlich.2

Der Tempel der Aphaia

Tempel der Aphaia auf Ägina
Tempel der Aphaia auf Ägina
(Bildquelle: Wikipedia)

Der Kultort der Aphaia auf Ägina ist heute weltberühmt. Der Tempel der Aphaia steht im Nordwesten von Ägina. Das heute noch als Ruine erhaltene Gebäude ist zwischen 510 v.Chr. und 490/480 v.Chr. errichtet worden. Der Altar ist auf die Mittelachse des Tempels ausgerichtet und passt so perfekt in die Harmonie des Gebäudes. Um 500 v.Chr. stellte man der Aphaia zudem Athene an die Seite, die ab dann praktisch die eigentliche Schutzgöttin von Ägina war. Die Bauteile des Tempels wurden Befestigungen aus Metall zusammengehalten. Vermutlich im 3. Jahrhundert nach Christus hat man das Metall aus dem Gebäude entfernt.Die jenigen, die das gemacht haben, verwendeten es für andere Zwecke . Einige Teile des Tempels stürzten ein und die Menschen haben ihn wohl nicht wieder aufgebaut. Das Gebäude wurde zur Ruine und geriet zunächst in Vergessenheit.

Im Jahr 1811 sollte sich das ändern. Der englische Architekt Cockerell und der deutsche Baron von Hallerstein besuchten die Ruinen und führten Ausgrabungen durch. Dabei entdeckten sie die Skulpturen der Giebel, die teilweise noch Reste der antiken Färbung hatten. Cockerell und Hallerstein dokumentierten die polychrome Bemalung des Tempels, so dass diese als nachgewiesen gelten konnte. Die Skulpturen verschafften sie nach Italien und verkauften sie an König Ludwig I. von Bayern. Heute sind sie in der Glyptothek zu sehen. Die systematische Ausgrabung des Tempels erfolgte 1901 durch das DAI Athen unter der Leitung von Adolf Furtwängler. Sein Bericht ist auf den Seiten der Uni Heidelberg heute frei verfügbar.3

Aphaia, das Flüchtlingskind

So kann man mit einer gewissen Ironie sagen, dass Aphaia ein Flüchtlingskind aus Kreta ist, das schließlich nach Ägina gelangte und in der neuen Heimat von deren Einwohnern verehrt wurde.

  1. Pausanias 2.30.3 ↩︎
  2. Kerényi, Band 1, 117. ↩︎
  3. Furtwängler, Aegina – Das Heiligtum der Aphaia, München 1906 ↩︎

Roland Richter

geboren 1969 in Hannover, Jurist und Griechenland-Fan

2 Gedanken zu „Aphaia – ein Flüchtlingskind aus Kreta

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