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Der harte Alltag vieler Frauen auf Santorin

Gastautor Wassos Andrikopoulos hat auf Santorin über den Alltag der Frauen recherchiert, die hinter den Kulissen in der Tourismusindustrie tätig sind. Die von ihm beschriebenen Missstände betreffen nicht alle Hotels, aber viele und mitunter auch die luxuriösesten. Touristen sollten auch von dieser dunklen Seite einer Reise nach Santorin wissen. Daher freue ich mich sehr, dass ich diesen Gastbeitrag im Hellas Blog veröffentlichen darf.

Hinter der Postkartenidylle: Der harte Alltag vieler Frauen auf Santorini

In den letzten Tagen ist Santorini allgegenwärtig – in den Medien, in Gesprächen und in Gedanken.

Putzfrau in einem griechischen Hotel
Putzfrau in einem griechischen Hotel

Doch während viele über mögliche Erdbeben und drohende Naturkatastrophen sprechen, denke ich an etwas anderes: an die Menschen, die hinter den Kulissen dieser weltberühmten Insel hart arbeiten. Besonders an Johanna.

Johanna stammt aus der Nähe von Katerini und hat eine gute Schulbildung. Sie arbeitete im Familienbetrieb, doch nach ihrer Scheidung verlor sie fast alles – ihre Brüder übernahmen die Firma, sie wurde als Frau „abgekocht“. Doch sie weigerte sich, ihr Leben als alleinerziehende Mutter einfach hinzunehmen. Sie zog ihre Tochter groß und nahm verschiedene Jobs an, darunter zwei Saisons als Housekeeper in einem Luxushotel direkt an der Caldera von Santorin.

Während Touristen die spektakuläre Aussicht genießen, gutes Essen zelebrieren und erstklassigen Service erwarten, sieht der Alltag für viele Frauen auf Santorini ganz anders aus. „Du bist ausgeliefert wie unter Wölfen“, erzählt Johanna. „Es sind ausgehungerte Wölfe mit Goldkettchen – griechisches Testosteron, das Eroberungen als Sport betreibt.

Der harte Alltag der Frauen

“Der Arbeitsalltag? Zehn Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, acht Monate lang – für vier Euro die Stunde. Unterkunft und Verpflegung? Ein deutscher Schäferhund lebt vermutlich besser. Urlaub? Fehlanzeige. Urlaubsgeld? Unbekannt.

Doch das Schlimmste sind nicht die harten Arbeitsbedingungen, sondern das System dahinter. „Die Zimmermädchen und das weibliche Personal werden von den Managern aufgeteilt, je nach Alter und Attraktivität“, erklärt Johanna. „Wer sich widersetzt, bekommt die schwersten Aufgaben oder wird schikaniert. Wer sich einlässt, erhält Privilegien – weniger Zimmer zu putzen, ein besseres Zimmer für die Nacht.“

Ich frage Johanna, ob es Einzelfälle sind. „Leider nicht“, sagt sie bitter. „Es ist die Regel.“ Besonders betroffen sind Frauen aus Ländern ohne starke Lobby: Moldawien, Georgien, Ukraine, Aserbaidschan. „Wenn du als Frau nicht taff bist, zerreibt dich das System.“Johanna hatte Glück – sie ist im Schlüsseldienst aufgewachsen, wusste sich zu wehren. Doch viele andere sind in dieser blau-weißen Kulisse der Romantik und Urlaubsträume hilflos gefangen.

Die Touristen? Manche geben Trinkgeld, andere behandeln dich wie Luft. Sie schlafen in Hotels für 400 Euro die Nacht und träumen vom perfekten Urlaub. Kaum jemand fragt nach den Bedingungen, unter denen dieser Traum aufrechterhalten wird.

Santorini ist kein Einzelfall

Santorini ist dabei kein Einzelfall. Mykonos, Naxos und andere Inseln folgen demselben Muster. Die Hotelbesitzer gehören meist zu alteingesessenen Familien, ausländische Investoren sitzen in Athen, die Manager vor Ort nutzen ihre Macht oft schamlos aus. Wer krank wird oder nicht mehr kann, landet auf der Straße.

Es gibt deutsche Organisationen, die sich um streunende Hunde in Griechenland kümmern. Doch wer kümmert sich um diese Frauen?

Meine emotionale Erdbebenskala schlägt weit höher aus als die seismischen Messwerte. Ich schäme mich – als Grieche, als Europäer. Und ich frage mich: Wollen wir es wirklich wissen? Wollen wir unser Traumbild von Santorini zerstören?

Oder reicht es, mit gutem Gewissen den Sonnenuntergang zu fotografieren?

Roland Richter

geboren 1969 in Hannover, Jurist und Griechenland-Fan

2 Gedanken zu „Der harte Alltag vieler Frauen auf Santorin

  • Ernst Polzer

    Danke für diesen Bericht, Auf Karpathos haben mir Frauen aus Rumänien, Moldawien und Schwarzafrika Ähnliches erzählt.
    Με τις καλύτερες ευχές
    Ερνστ

    Antwort

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