Geschichte

30. Mai 1941: Die Fahne auf der Akropolis

Der 30. Mai 1941 war ein besonderer Tag auf der Akropolis. Als der Morgen erwachte, war die Fahne verschwunden, die am Vortag noch wehte. Davon möchte ich heute berichten.

Die griechische Fahne auf der Akropolis (2015)
Die griechische Fahne auf der Akropolis (2015)

Im 2. Weltkrieg haben die Achsenmächte Griechenland besetzt. Die Wehrmacht marschierte am 27. April 1941 in Athen ein. Zwar gehörte die Stadt zur italienischen Besatzungszone in Griechenland. Italien hat jedoch darauf verzichtet, eine eigene Militärverwaltung einzurichten. Es installierte am 1. Mai 1941 eine Kollaborationsregierung und unterstellte ihr das Besatzungsgebiet.

Auch wenn die Deutschen formell nicht in Athen herrschten, unterhielten sie hier verschiedene Stellen und übten faktisch die Macht aus. Das sollte auch jeder sehen, und deshalb hissten sie die Kriegsflagge der Wehrmacht auf der Akropolis. Das Hakenkreuz auf dem Burgberg sollte den Athenern deutlich machen, dass Widerstand zwecklos war.

Auf die Akropolis gehört die Fahne Griechenlands. Die Bevölkerung empfand es als Schande, eine andere Fahne als die Griechenlands auf der Akropolis wehen zu sehen. Zwei junge Männer entschlossen sich, dieser Schande durch einen offenen Akt des Widerstandes ein Ende zu bereiten.

Widerstand ist möglich: Das Fehlen der Hakenkreuzfahne war nicht zu übersehen

Für die Griechen kam nach der Einnahme noch etwas hinzu. Auch wenn Athen gefallen war, tobte noch die Schlacht um Kreta. Am 30. Mai 1941 kamen die ersten Meldungen in Athen an, dass Kreta gefallen war. Zwei junge Männer überlegten sich, was sie tun könnten. Sie wollten ein Zeichen des Widerstandes setzen, das jedem das griechische Streben nach Freiheit vor Augen führte.

Blick auf die Akropolis vom Kerameikos
Blick auf die Akropolis vom Kerameikos. Die Fahne ist links.

Die beiden Männer hießen Manolis Glezos und Apostolos („Lakis“) Santas. In der Nacht vom 30. auf den 31. Mai 1941 zogen sie los und wagten das Unmögliche: Sie stiegen heimlich auf die Akropolis, holten die Fahne mit dem Hakenkreuz ein.

Als Athen am 31. Mai erwachte, konnte jeder sehen, dass die Fahne nicht mehr auf der Akropolis wehte. Jeder in Athen sah, dass Widerstand möglich war.

Glezos und Santas hatten bewusst Fingerabdrücke hinterlassen, um eine Identifizierung der Täter zu ermöglichen. Damit wollten sie verhindern, dass dass die Besatzer jemand anderen für diese Tat bestraften. Sie hatten Glück: Zwar wurden sie beide für diese Tat in Abwesenheit zum Tod verurteilt. Das Urteil erging auf Befehl des Besatzungskommandanten ohne ein zumindest förmliches Gerichtsverfahren. Das war selbst für die damaligen Maßstäbe klares Unrecht. Die Deutschen haben sie aber nicht gefasst und für diese Tat nicht bestraft.

Glezos und Santas nach dem 2. Weltkrieg

Griechenland hat die beiden nach dem Krieg nicht gut behandelt.

Glezos war Leiter des kommunistischen Zentralorgans Rizospastis (Ριζοσπάστης, deutsch: „Der Radikale“). Am 3. März 1948 hat ein – dieses mal griechisches – Gericht ihn wegen „Pressedelikten“ zum Tode verurteilt. Wegen internationaler Proteste wurde das Urteil nicht vollstreckt, sondern 1950 in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt. Im Juli 1954 wurde er aus der Haft entlassen.

Gedenktafel auf der Akropolis für die Tat in der Nacht vom 30. auf den 31. Mai 1941
Gedenktafel auf der Akropolis für die Tat von 1982

Am 5. Dezember 1958 ist Glezos erneut verhaftet worden. Dieses Mal erfolgte die Verurteilung wegen Spionage. Auch dieses Mal gab es internationale Proteste. Sie führten am 15. Dezember 1962 zu seiner Freilassung. Auch die Zeit der Militärjunta war für Manolos Glezos mit Haft verbunden. Vier Jahre saß er ein, bis 1971.

Santas kämpfte für die ELAS (ΕΛΑΣ), die griechische Volksbefreiungsarmee. Deswegen war er immer wieder in Haft: Ikaria (bis 1946), Psyttalia (1947) und ab 1948 auf Makronisos. Von dort konnte er fliehen. Er ging über Italien nach Kanada, wo er politisches Asyl erhielt. Apostolos Santas blieb bis 1962 in Kanada. Anschließend kehrte er nach Griechenland zurück.

Apostolos lebte bis 2011, Manolis sogar bis 2020. Ihre Biographien sind sehr spannend. Unstreitig haben sie als junge Männer jedenfalls sehr viel Mut bewiesen und am 30. Mai 1941 ein Zeichen gesetzt, das alle in Athen gesehen haben. Davor habe ich Respekt.

Roland Richter

geboren 1969 in Hannover, Jurist und Griechenland-Fan

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