Geschichte

Kämpfender Gallier

Diese Statue nennt man kämpfender Gallier. Sie ist im Archäologischen Nationalmuseum in Athen zu sehen. Die Statue ist 93 cm hoch, die Inventarnummer wird mit 247 angegeben. Gefunden hat man ihn auf Delos (altgriechisch Δῆλος, neugriechisch Δήλος), der heiligen Insel des antiken Griechenland.

Der kämpfende Gallier

Die Statue des kämpfenden Galliers gilt als typisches Beispiel einer späthellenistischen Skulptur mit Merkmalen der Schule von Pergamon.

Statue des kämpfenden Galliers
Statue des kämpfenden Galliers

Gefunden hat man den Helm in der Agora der Italiener auf Delos. Der verwundete Krieger ist auf sein rechtes Knie gefallen. Im rechten Oberschenkel sieht man ein Loch, in dem einst eine Pfeilspitze gesteckt haben mag.

Auf dem Boden neben dem Gallier legt sein Helm, auf den ich unten eingehe. Mit dem linken Arm verteidigt der Kämpfer sich gegen seinen Feind. Die Skulptur ist auf einer Plinthe fixiert, die den Untergrund darstellt.

Ich empfinde den Helm als eine ganz besondere Symbolik. Der Kämpfer hat ihn nicht mehr auf, und er ist verwundet zu Boden gegangen. Die gesamte Körperhaltung und auch sein Gesicht zeigen, dass es hier um jemanden geht, der keinesfalls aufgegeben hat. Noch wehrt er sich, wo andere doch schon längst aufgegeben hätten.

Den Gallier in dieser Haltung darzustellen, ist in einer von Kämpfen und Auseinandersetzungen geprägten Zeit ein Zeichen des Respekts. Die Griechen glaubten zudem, sie seien die Zivilisation, allen anderen überlegen ist. Daran änderten die Römer auch nichts, als sie Griechenland in ihr Imperium einverleibten. Sie waren klug genug sich als „gleichwertig“ zu deklarieren und Griechenland im Übrigen zu unterwerfen. Indem der Künstler Griechen und Römern einen „unterlegenen“ Barbaren in dieser Pose zeigte, ermahnte er sie zum Heldentum auf dem Schlachtfeld.

Das wird auch sehr deutlich an dem Gesichtsausdruck des Galliers. Auch wenn der Marmorkopf beschädigt ist, kann man den Blick des Galliers noch sehr gut nachvollziehen. Da ist niemand, der Angst hat oder aufgeben würde. Das ist ein Kämpfer, der so lange weitermacht bis er besiegt (also tot) ist oder aber den Gegner niedergerungen hat.

Vermutlich hat der Bildhauer Agasias die Statue um 100 v.Chr. gefertigt. Agasias stammte aus Ephesos, war aber vor allem in Delos tätig.

Der Galatische Helm

Ein interessantes Detail der Statue ist der Galatische Helm, der auf dem Boden neben der Statue zu sehen ist.

Der galatische Helm neben der Statue des kämpfenden Galliers
Der galatische Helm neben der Statue des kämpfenden Galliers

Die Galater (Γαλάται) sind die Nachfahren der 20.000 Kelten, die 278 v. Chr. von König Nikomedes I. von Bithynien angeworben wurden. Die Hälfte von ihnen waren Krieger, die Nikomedes halfen sich im Machtkampf gegen seinen Bruder zu behaupten. Danach ließen sie sich im Gebiet um Gordion und Ancyra (Ankara) nieder, das die Menschen später nach ihnen Galatien genannt haben.

Die Kelten blieben kriegerisch aktiv und konnten nur mühsam befriedet werden.

Die Galater sind auch im Neuen Testament erwähnt, und zwar im Brief des Paulus an die Galater. Sie behielten ihre angestammte Kultur bei, waren aber hellenisiert. Nach um 400 n.Ch. ist durch den Kirchenvater Hieronymus die Existenz keltisch sprechender Völker in Galatien belegt.

Der Helm hat keine abstehende Krempe, er erinnert mich von der Form her an einen Pilos-Helm. An ihm fallen mir Ausstülpungen auf, die sich an seinen Seiten befanden. Ich denke, dass hier etwas angebracht werden konnte. Meine Vermutung ist, dass es sich um einen Flügelhelm handelt. Solche kennen wir von den Galliern, populär ist der Helm des Asterix.

Das Material der Statue stammt von Paros

Der Künstler hat die Staue aus parischem Marmor gefertigt , das Material stammt also von der Insel Paros. In der Antike hat man den Marmor auf der Kykladeninsel Paros in deren nördlichem Gebirge abgebaut. Das Material war für Skulpturen und auch als Baumaterial sehr geschätzt.

Den für Statuen genutzten Marmor haben die Menschen unterirdisch abgebaut, in so genannten Nymphen-Grotten. Die berühmtest aus diesem Marmor gefertigte Statue ist wohl die Venus von Milo. In gewisser Weise ist der kämpfende Gallier also deren Bruder.

Der Fund der Statue auf Delos

Man hat diese Statue auf der Insel Delos gefunden, und zwar in mehreren Fragmenten. Die Skulptur selbst wurde auf der Agora der Italiener gefunden, der linke Arm im Heiligen See. Der Fundort des Kopfes ist nicht bekannt.

Gefunden hat diese Skulptur der französische Archäologe Salomon Reinach. Sie kam am 3. August 1882 allerdings nicht vollständig ans Tageslicht, sondern zerbrochen in mehrere Teile. Reinachs erster Bericht nennt zwei Fragmente. Das erste und größte umfasst die Fußleiste, den rechten Unterschenkel, das zweite den Rest der Statue. Auf der nebenstehenden Grafik habe ich diese Bereiche mit 1 und 2 gekennzeichnet. Möglicherweise war der Sockel selbst auch zerbrochen. Ich habe aber auf meinen Fotos keine Bruchspur gesehen.

Salomon Reinach hat seine Funde auf Delos in Band 8 des Bulletin de correspondance hellénique von 1884 publiziert. Dieser Band ist inzwischen digitalisiert im Netz verfügbar, klickt einfach auf den vorstehenden Link. Hier seht Ihr auf Seite 179 eine Zeichnung der Skulptur, die den kämpfenden Gallier als Torso zeigt.

Vier vorhandene Fragmente

Die Fragmente 1 und 2 hat Salomon Reinach nach Mykonos überführen in das provisorische Museum von Mykonos überführen, ebenso wie das in der Nähe gefundene Basisfragment, das den Namen von Agasias, dem Sohn des Menophilos, trägt.

Die Fragmente des kämpfenden Galliers
Die Fragmente des kämpfenden Galliers: 1: unteres Teil der Stautue 2: Torso 3: linker Arm 4: Kopf 5: rechter Fuß (fehlt) 6: Hinterkopf (fehlt) 7: rechter Unterarm (fehlt) 8: linker Unterarm (fehlt)

Diese Teile der Statue hat man dann von Mykonos in das Archäologische Nationalmuseum von Athen gebracht, wo sie seit 1887 ausgestellt sind.

Im Oktober 1906 geht die Fundgeschichte weiter. Der französische Archäologe Gabriel Leroux findet im Heiligen See auf Delos einen linken Arm. In der Grafik habe ich diesen Bereich der Skulptur mit der Ziffer 3 versehen. Den Arm hat man im Delos-Museum deponiert, dort aber zunächst nicht weiter beachtet. Erst später kam die Idee auf, dass der kämpfende Gallier seinen linken Arm zurückbekommen könnte. 1950 hat ihn ein Bildhauer an den Torso angebracht.

Den Kopf des Kriegers habe ich mit der Nummer 4 versehen. Aufgetaucht ist der irgendwann in den 1890er Jahren, wer ihn gefunden hat ist (mir) nicht bekannt. Bezeichnet wurde er zuerst als „Kopf von Mykonos“, was möglicherweise eine Ablenkung von den Findern bedeutet, die mit dem illegalen Antikenhandel Geld verdienten. 1905 ging er jedenfalls an das Delos-Museum. Die Idee, dass es sich um den Kopf des Galliers handeln könnte, kam schnell auf. Mit einem Abguss des Kopfes hat man 1972 eine Probemontage auf die Statue vorgenommen. Das Ergebnis überzeugte, so dass der Kopf 1973 nach Athen kam und heute auf der Statue des kämpfenden Galliers zu sehen ist.

(mindestens) vier fehlende Fragmente

Die Statue ist bis heute nicht vollständig. Mindestens zwei Teile fehlen. Im Bild habe ich mit 5 den linken Fuß und mit 6 den Hinterkopf markiert. Am auffälligsten sind der rechte (7) und der linke (8) Unterarm, die fehlen. Es gibt weitere kleine Fehlstellen (zum Beispiel an Nase und Lippen), die ich nicht mit Ziffern markiert habe. Schön wäre, wenn einige weitere Fragmente auftauchen und dem Gallier zugeordnet werden könnten.

Der Gallier erzählt vom heiligen Delos und seinem Untergang

Auf Delos gab es in der Antike ein wichtiges Heiligtum des Apollon. Delos war alles Griechen heilig. 1990 ist Delos sogar zum UNESCO Weltkulturerbe ernannt worden.

Der Gallier ist ein herausragendes Kunstwerk, das sieht man trotz der vielen Schäden an der Statue noch heute. Seine Körperhaltung und der Gesichtsausdruck faszinieren und berühren den Betrachter.

Der Gallier: ein wertvolles Geschenk an Delos

Das Gesicht des kämpfenden Galliers
Das Gesicht des kämpfenden Galliers

Es muss sehr viel Geld gekostet haben, diese Statue fertigen und nach Delos bringen zu lassen. Derjenige, der das veranlasst hat, wollte die Insel um ein wirklich besonderes Kunstwerk bereichern. Ob es sich um ein Weihegeschenk oder ein eher weltliches Element handelt, habe ich nicht herausfinden können. Die mir bekannten Quellen geben darüber nicht viel her.

Die Geschichte des Galliers im heiligen Delos ist damit vielleicht zu Ende erzählt. Ich meine, dass der Gallier aber auch ein wichtiges Zeugnis des gewaltsamen Untergangs von Delos ist, dem jede Heiligkeit abhanden kam. Und dieser Teil seiner Geschichte ist wirklich spannend.

Zwei Fragmente der Statue hat Salomon Reinach auf der Agora der Italiener gefunden. Der linke Arm dagegen ist dort ans Tageslicht gekommen, wo sich in der Antike der Heilige See befand. Der Heilige See lag in einer kreisförmigen Senke, die heute trocken gelegt ist um die Ausbreitung von Malaria Mücken zu verhindern. Der See hatte in für das antike Delos eine hohe Bedeutung, viele wichtige Bauten waren nach ihm ausgerichtet.

Wenn der Arm dort gefunden wurde, wo in der Antike der See war, dann muss er irgendwie von der Statue abgetrennt worden und in den See gelangt sein. Ich vermute, dass diese Geschichte in Zusammenhang mit dem Untergang von Delos zu erzählen ist. Andere Schäden an der Statue bestätigen mich in dieser Vermutung.

Delos verließ sich für seine Sicherheit sehr darauf, dass es ein für alle Griechen heiliger Ort war. Mit gewissen Aufs und Abs ging das auch lange Zeit gut, auch wenn Delos in starker Abhängigkeit von Athen stand und dadurch auch Nachteile hatte. Im 1. Jahrhundert vor Christus kam das Römische Reich als neuer Spieler in der Ägäis hinzu. Delos und seine Bewohner standen auf der Seite Roms.

Der Untergang von Delos

Zwischen 89 v. Chr. Und 63 v. Chr. führte Mithriades VI. einen Krieg gegen Rom. Ihm ging es um die Vorherrschaft in der Ägäis und dem Schwarzen Meer. 88 v. Chr. nahm er Delos ein. Pausanias berichtet von dem, was geschah als die Truppen des Mithriades auf der Insel landeten:

…fuhr, weil Delos unbefestigt war und seine Bewohner keine Waffen besaßen, … und tötete die sich dort aufhaltenden Fremden und tötete die Delier selbst, raubte viel Geld und alle Weihgeschenke, schleppte dazu Frauen und Kinder in die Sklaverei ab und zerstörte Delos selbst von Grund auf.

Pausanias, Griechenland, Buch III, 23, 4

Pausanias berichtet in diesem Zusammenhang auch, dass eine Holzbild des Apollon ins Meer geworfen wurde. Das bedeutet, dass die Plünderer zerstört haben, was sie nicht mitnehmen konnten.

Rom befreite Delos bald wieder. Aber 69 v. Chr. eroberte ein Verbündeter des Mithriades die Insel erneut und zerstörte sie vollends. Danach haben die Menschen Delos zwar wieder aufgebaut und jetzt auch befestigt. Von den Eroberungen und Zerstörungen konnte die Stadt sich aber nicht erholen. Im 2. Jahrhundert n. Chr. war Delos weitgehend verlassen und aufgegeben.

Fehlstelle am Schädel des kämpfenden Galliers
Fehlstelle am Schädel des kämpfenden Galliers

Die Beschädigungen an der Statue passen sehr gut zu solchen Zerstörungen, wie die antiken Quelle sie beschreiben. Die Statue selbst ist zerbrochen. Der Hinterkopf fehlt, hier findet sich eine Art glatter Schnitt. Wurde er durch einen Schwerthieb abgeschlagen?

Meine Vermutung ist, dass die Schäden an der Statue bei den Verwüstungen im 1. Jahrhundert vor Christus entstanden sind. Jemand hat sie erst zerstört und dann einzelne Teile wie z.B. den linken Arm in den See geworfen. Die eigentliche Statue war dazu wohl zu groß und schwer, diese Anstrengung wollten die Plünderer vermutlich nicht auf sich nehmen.

Wenn dem so ist, dann ist der kämpfende Gallier zugleich auch ein wichtiger Zeitzeuge des Untergangs von Delos. Betrachtest Du die Schäden an der Statue, kannst Du erahnen, was damals auf der Insel passiert sein muss.

Roland über die Statue des kämpfenden Galliers

Die Statue des kämpfenden Galliers fasziniert mich, weil der Gallier trotz aller Beschädigungen noch sehr lebendig rüberkommt. Für mich ist das ein Meisterwerk.

Deutsche Veröffentlichungen bezeichnen die Statue gelegentlich als den „verwundeten Gallier“, was ihr meiner Meinung nach nicht gerecht wird. Das mag einer (an sich ehrenwerten) pazifistischen Grundhaltung entsprechen, die den verwundeten Menschen höher schätzt als dem Kämpfer, der trotz schwerster Wunden einfach nicht aufgibt. Diese heutige moralische Sichtweise lässt aber die Einstellung der Antike völlig außen vor und sie verweigert dem Gallier zudem den Respekt, der ihm in der Antike gezollt wird. Ich finde das nicht richtig.

Andere Darstellungen von Galliern in der Antike

Gallier sind in der Antike mehrmals in kämpfenden oder sterbenden Haltungen dargestellt worden. Wir kennen den sterbenden Gallier (Kapitolinisches Museum, Rom), den Gallier Ludovisi (Museo Nazionale Romano, Rom) oder den sterbenden Gallier in Venedig (Museo Archeologico Nazionale, Venedig). Im Archäologischen Nationalmuseum von Neapel gibt es eine weitere Statue eines sterbenden Galliers, die einen ganz ähnlichen Helm auf hat wie wir ihn in beim Gallier in Athen sehen. Allen Darstellungen ist gemein, dass sie dem antiken Publikum den Gallier in der Schlussphase seines Lebens als Vorbild vorhielten.

So eine Skulptur fertigen zu lassen war sehr teuer. Dass so etwas aus Sicht derjenigen, die Helden auf dem Schlachtfeld brauchten, notwendig war, führt mich zu einer Erkenntnis. Zu viele Zeitgenossen entsprachen nicht dem heroischen Ideal, dass die Feldherren und Strategen brauchten um ihre Kriege führen zu können.

Auch wenn man dem Wert eines Menschenlebens in der Antike nicht die Bedeutung beigemessen hat, die uns im Europa des beginnenden 21. Jahrhunderts selbstverständlich erscheint, waren die Menschen damals in ihrer großen Mehrheit wohl nicht anders als heute. Sie wollten leben und sich nicht auf den Schlachtfeldern ihrer Zeit opfern. Auch das lehrt uns die Skulptur des kämpfenden Galliers, wenngleich das von dem Auftraggeber dieser Arbeit wohl nicht beabsichtigt gewesen sein dürfte.

Die Statue des kämpfenden Galliers erzählt heute eine dramatische Geschichte aus der Antike. Es geht um die kriegerischen Gallier, die den vermeintlich zivilisierteren Griechen als Vorbild vorgehalten wurden. Und vor allem sehen wir an der Statue Spuren des Untergangs von Delos. Allein schon diese Statue lohnt den Besuch des Archäologischen Nationalmuseums in Athen.

Roland Richter

geboren 1969 in Hannover, Jurist und Griechenland-Fan

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