Geschichte

Das Massaker von Kalavryta

Das Massaker von Kalavryta (Καλάβρυτα) ist ein sehr schlimmes Kapitel des zweiten Weltkriegs. Heute ist sein Jahrestag. Am 13. Dezember 1943 erschossen Soldaten der deutschen Wehrmacht zahlreiche Zivilisten.

Die Vorgeschichte

Am 16. uznd 17. Oktober 1943 kam es zwischen deutschen Besatzungstruppen und Partisanen der links orientierten ELAS (ΕΛΑΣ) bei Kerpini (Κερπινή) zu einer Schlacht.

Der Gedenkort bei Kalavryta
Der Gedenkort bei Kalavryta
(Foto: Sabine Kersten-Mutter)

Diese ging für die griechischen Widerständler erfolgreich aus, sie konnten 81 deutsche Soldaten gefangen nehmen. Ein verwundeter Soldat wurde bei einer Familie gepflegt, drei weitere verletzte Soldaten sind in einem Krankenhaus versorgt worden. Die übrigen Gefangenen verbrachten die erste Nacht in der Grundschule von Kalavryta. Die Gefangenen sollten am nächsten Tag an einen anderen Ort gebracht werden.

Einige Wochen zuvor, am 1. September, war der erst 18 Jahre alte Konstantinos Pavlopoulos von deutschen Soldaten in Kalavryta öffentlich erhängt worden. Seine Angehörigen tauchten am Krankenhaus auf und verlangen die Herausgabe der drei Soldaten. Trotz des Widerstandes des Krankenhauspersonals und anderer wichtiger Personen kam es dazu. Die drei Soldaten sind am 18. Oktober getötet worden. Am 19. Oktober hat man sie bei Kalavryta gefunden und auf dem Friedhof der Stadt beerdigt.

Die Partisanen der ELAS waren in der Region um Kalavryta sehr stark, obwohl die eher konservativ eingestellte Bevölkerung in der Region ihnen distanziert gegenüberstand. Sie waren in der Region nicht verwurzelt.

Das „Unternehmen Kalawrita“ und die Erschießung der gefangenen deutschen Soldaten

Die Wehrmacht begann eine Vergeltungsaktion durchzuführen. Das „Unternehmen Kalawrita“ begann offiziell am 5. Dezember 1943.

Die griechische Fahne am Ort des Massakers
Die griechische Fahne am Ort des Massakers
(Foto: Sabine Kersten-Mutter)

Ziel der Aktion war, die Partisanen zu bekämpfen und die gefangenen deutschen Soldaten zu befreien. Zwar kam es zu kleineren Gefechten, Opfer der Vergeltungstätigkeit waren jedoch auch an den Partisanentätigkeiten nicht beteiligte Zivilisten.

Die deutschen Gefangenen befanden sich in Mazeika, das heute Kleitoria (Κλειτορία) heißt. Als die Partisanen von den Geschehnissen erfuhren, verließen sie den Ort überstürzt. Ein deutscher Soldat hatte Glück, er wurde von den Partisanen vergessen.

Die noch übrigen 75 Soldaten brachten die Männer von der ELAS in den kleinen Ort Mazi, der heute Elatofito (Ελατόφυτο) heißt. Dort haben die Partisanen die gefangenen Soldaten in kleinen Gruppen auf einen Hang geführt und erschossen.

Zwei der Soldaten überlebten dieses Massaker und konnten fliehen. Einer der beiden traf am 8. Dezember auf eine Radfahrerschwadron der Wehrmacht, die auf der Suche nach den Gefangenen war. Am 11. Dezember fand ein Suchtrupp die Leichen der ermordeten Soldaten.

Nun setzte eine weitere Eskalation ein. Die deutschen Soldaten setzten mehrere Dörfer in Brand.

Am 9. Dezember erreichten die Deutschen Kalavryta. Dort richteten sie eine Kommandantur ein und verhängten eine Ausgangssperre. Maßnahmen gab es gegen Familien, die verdächtigt wurden, die Partisanen zu unterstützen. Mir ist nicht bekannt, dass es dafür Beweise gab.

Das Massaker von Kalavryta am 13. Dezember 1943

Mahnmal mit den Namen der Erschossenen
Mahnmal mit den Namen der Erschossenen
(Foto: Sabine Kersten-Mutter)

Es begann noch vor Sonnenaufgang. Die Kirchenglocken läuteten, laut und zu ungewohnter früher Zeit. Alle Einwohner wurden geweckt.

Die Deutschen befahlen den Männern, Frauen und Kindern, sich vor der Grundschule zu versammeln. Mitzubringen waren Verpflegung für einen Tag sowie Decken. Dann ging es in das Schulgebäude.

Dort trennten die Soldaten Frauen, Kinder und sechs Greise von den Männern des Ortes. Jungen, die 13 Jahre oder älter waren, hatten sich zu den Männern zu gesellen. Die Gruppe der Männer ist zu einem Hügel außerhalb von Kalavryta geführt worden.

Anschließend steckten die Deutschen den Ort in Brand. Die Kinder, Frauen und Greise waren noch in der Schule, die alsbald auch vom Feuer erfasst wurde. Die Menschen flohen durch Türen und Fenster aus dem überfüllten Gebäude.

Die Männer hatten sich das Geschehen vom Hügel aus anzusehen. Dann gingen vom Marktplatz des Ortes aus zwei Leuchtkugeln in die Luft. Das war das Zeichen für die deutschen Soldaten, mit der Tötung der Männer zu beginnen. Mit Maschinengewehren feuerten sie auf die Gruppe. Wer danach noch ein Lebenszeichen zeigte, wurde erschossen.

Was nach dem Massaker geschah

Am nächsten Tag brachten die Frauen und Kinder die Leichen vom Hügel zum Friedhof, um sie dort zu beerdigen.

Statue der Frauen
Statue der Frauen
(Foto: Sabine Kersten-Mutter)

Sie trugen die Toten auf den Decken, mit denen sie sich eigentlich wärmen sollten. Kalavryta selbst war größtenteils zerstört.

Die Deutschen machten auch vor dem Kloster Agia Lavra nicht halt. Sie zerstörten es und töteten 8 Mönche.

In Agia Lavra begann am 25. März 1821 der griechische Freiheitskampf. Dieses Kloster ist für die Griechen ein Nationalheiligtum. Ich gehe davon aus, dass die Deutschen es sich ganz bewusst für ihre Zerstörungs- und Mordaktion ausgesucht haben.

Weiter zerstörten die Soldaten noch einige weitere Orte. Die genaue Zahl der Opfer dieser Mordaktion konnte nicht abschließend geklärt werden.

Historiker gehen von 676 von den Deutschen ermordeten Griechen aus. Von diesen stammen 477 Menschen aus Kalavryta.

Rechtliche Konsequenzen des Massakers

Es gab gegen die beteiligten Soldaten wegen dieses Massakers nach dem Krieg kein Strafverfahren.

Der für die Partisanenbekämpfung verantwortliche Offizier hieß Karl von Le Suire. Er kam später in sowjetische Kriegsgefangenschaft, wo er 1954 verstarb. Zwei Kampfgruppenkommandeure, die ebenfalls hätten bestraft werden müssen, sind zum Ende des Krieges als vermisst gemeldet worden. Vermutlich sind sie gefallen. Jedenfalls konnten sie nicht mehr bestraft werden. Ein weiterer Kommandeur, Julius Wölfinger, musste sich in Deutschland zumindest einem Untersuchungsverfahren stellen. Allerdings hatte er kurz vor dem Massaker einen Autounfall und lag im Lazarett. Er war nicht beteiligt, weshalb er nicht bestraft werden konnte.

Die einzige Verurteilung traf Hellmuth Felmy, gegen den im Rahmen der Nürnberger Prozesse Anklage erhoben wurde. Felmy musste sich im so genannten Geiselmord-Prozess verantworten. Wegen seiner Rolle in Kalavryta und wegen der Beteiligung an anderen Verbrechen ist er zu 15 Jahren Haft verurteilt worden. 1951 profitierte er von einer Amnestie und kam wieder frei.

Die bundesdeutsche Justiz bestrafte niemanden wegen Kalavryta

Vor einem deutschen Gericht musste sich keiner der Beteiligten verantworten. Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen ein. Das Massaker fand ja in Zusammenhang mit der Partisanenbekämpfung statt und aufgrund der Ermordung der gefangenen deutschen Soldaten. Das damalige Kriegsrecht habe die Hinrichtung von Zivilisten gestattet, wenn Soldaten durch Partisanen getötet wurden.

Ich persönlich bin mit dieser rechtlichen Bewertung überhaupt nicht einverstanden. Dass eine Armee sehr hart durchgreift, wenn sie von Partisanen angegriffen wird, ist nachvollziehbar. Nur muss sie gegen die Partisanen durchgreifen. Unbeteiligte Zivilisten im Rahmen von Vergeltungsaktionen zu töten, ist Mord.

Der Bundesgerichtshof findet klare Worte

Das sieht inzwischen auch die deutsche Justiz so. Das war aber nicht immer so. Noch in den 1950er hielt die deutsche Rechtsprechung solche als „Repressionsmaßnahmen“ beschönigte Mordaktionen für vom Kriegsrecht gedeckt. Diese rechtliche Bewertung ist heute nicht mehr zu vertreten. Ich kenne zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, der dazu recht deutlich wird.

Zum einen gibt es den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 17. Juni 2004 (5 StR 115/03), in dem er zur früheren Beurteilung der Erschießung von Zivilisten nach vorangegangenen Partisanenaktivitäten klare Worte findet:

Diese damalige Beurteilung ist allerdings mit der Bedeutung des Menschenrechts auf Leben schlechthin unvereinbar. Das Tatgeschehen umfasste die Erschießung einer Vielzahl wehrloser, an dem mit der „Vergeltungsaktion“ zu ahndenden Geschehen individuell nicht unmittelbar beteiligter Personen. Es wurde dabei auch nicht näher darauf Bedacht genommen, ob und inwiefern die Opfer etwa sonst in Schuld verstrickt waren… . Die Tat ist … als … menschenverachtend einzustufen, …

Quelle: Bundesgerichtshof

Weiter zitiere ich aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 25. Oktober 2010 (1 StR 57/10). Dort heißt es:

Eine … aus Rachsucht motivierte und gründlich vorbereitete Tötung von Unschuldigen, die durch ihr Verhalten keine Veranlassung für die durchgeführte Vergeltungsmaßnahme gegeben haben, … ist … Ausdruck einer auf tiefster Stufe stehenden und besonders verachtenswerten Gesinnung.

Quelle: Bundesgerichtshof

In diesem Fall ging es um die Ermordung italienischer Zivilisten, nachdem Partisanen deutsche Soldaten getötet hatten. Die Partisanen waren weg, man konnte ihrer nicht mehr habhaft werden. Also knöpften die Deutschen sich neun männliche italienische Zivilisten vor und brachten sie nach einem zuvor gefassten Plan um.

Rechtlich ist die Sache für die deutsche Justiz heute klar: Die Tötung unbeteiligter Zivilisten nach Partisanenaktivitäten ist Mord und nichts anderes.

Das Massaker von Kalavryta war Mord

Meine strafrechtlichen Überlegungen zum Massaker von Kalavryta nützen leider praktisch nichts mehr. Denn die an der Tat beteiligten Deutschen leben alle nicht mehr. Sie müssen sich vor Gott verantworten. Der Justiz sind sie entkommen.

Die Tötung der griechischen Menschen in Kalavryta war Unrecht, das war ein Verbrachen, das war Mord. Für mich gibt es da keine zwei Meinungen.

Die Opfer können Deutschland nicht auf Schadensersatz verklagen

Wegen des Massakers von Kalavryta gab es in Griechenland einen Schadensersatzprozess. Die Kläger wollten von Deutschland eine Entschädigung für das verübte Unrecht. Diese Klage ist vom Europäischen Gerichtshof als unzulässig beurteilt worden und damit gescheitert. Der Deutschlandfunk berichtete nach der gescheiterten Klage, dass die Erwartung von Wiedergutmachung eine offene Wunde im Verhältnis der Menschen aus Kalavryta zu Deutschland bleibe.

Es gibt zwischen Griechenland und Deutschland einen Vertrag vom 18. März 1960 über die Wiedergutmachung des Besatzungsunrechts. Entsprechend den völkerrechtlichen Gepflogenheiten zahlte Deutschland die Entschädigung an den griechischen Staat, der diese an die vom Besatzungsunrecht betroffenen Menschen weiterzuleiten hatte. In Kalavryta scheint davon nichts angekommen zu sein.

Kalavryta ins Bewusstsein der Deutschen rücken

Kommen wir zurück nach Kalavryta. Nach dem Massaker kam für die nächsten neun Jahre kein Deutscher mehr hierher.

Inschrift mit Friedensmahnung am Hügel (Foto: Sabine Kersten-Mu
Inschrift mit Friedensmahnung am Hügel, darüber das weiße Kreuz
(Foto: Sabine Kersten-Mutter)

1952 reiste Ehrengard Schramm nach Griechenland, wo sie Material für ein Buch sammeln wollte. Bei ihren Recherchen hörte sie erstmals von Kalavryta. Die deutsche Botschaft in Athen riet ihr von einer Reise dorthin ab. Freunde warnten, dass sie totgeschlagen werde, sollte sie sich dorthin begeben. Dennoch fuhr sie hin. Ihr einziger Schutz war ein Schreiben des Roten Kreuzes.

Sie tat, was bis dahin niemand getan hatte: Sie sprach mit den Menschen vor Ort und organisierte Hilfe. Die Frauen von Kalavryta wollten zwei Dinge: Einmal Ersatz für die Webstühle, die 1943 verbrannt wurden. Und sie wollten für ihre Kinder Ausbildungsplätze – in Deutschland.

Das Auswärtige Amt stellte 200.000 DM bereit, was damals viel Geld war. Dann kam es jedoch auf den Ionischen Inseln zu einem Erdbeben mit vielen Opfern. Das Geld hat man auf die Ionischen Inseln geleitet, den Menschen in Kalavryta kam es nicht zu Gute.

Konrad Adenauers Schritte der Wiedergutmachung

1954 besuchte Konrad Adenauer Griechenland. Er überbrachte der griechischen Königin Friederike einen Scheck über 50.000 DM für die Kalavryta-Hilfe. Die Königin verlegte den Scheck, er tauchte erst einige Monate später wieder auf. Die Bremer Bürgerschaft stellte zu diesem Zweck weitere 10.000 DM zur Verfügung. Von diesem Geld hat man immerhin 18 Webstühle angeschafft.

1956 kamen 33 griechische Waisen aus Kalavryta nach Deutschland. Bundeskanzler Adenauer empfing sie im Palais Schaumburg. Sie erhielten in Deutschland eine Berufsausbildung. Sie waren nicht die einzigen, insgesamt haben 61 junge Menschen aus Kalavryta in Deutschland eine Ausbildung erhalten.

Am 4. April 2000 ging der damalige deutsche Bundespräsident Johannes Rau nach Kalavryta. Er hielt eine kurze Rede und lud Jugendliche von hier nach Deutschland ein. In den Medien heißt es, dass er sich vor Ort sehr betroffen über das gezeigt habe, was hier passiert ist.

Die Gedenkstätte

Oberhalb von Kalavryta hat man in den 1950er Jahren eine Gedenkstätte errichtet. Dort stehen hohe Betonwände, in denen die Namen aller Ermordeten aus dem Ort eingegossen sind. In der Mitte der Gedenkstätten steht eine Skulptur als Beton: eine trauernde Mutter. In großen weißen Buchstaben aus Stein sind auf dem Hang zwei Botschaften zu lesen: „ΟΧΙ ΠΙΑ ΠΟΛΕΜΟΙ“ (deutsch: „Nie wieder Krieg“) und „ΕΙΡΗΝΗ“ (deutsch: „Frieden“). Oben steht ein großes, weißes Kreuz. Es ist von jeder Position des Tals und des Ortes aus zu sehen.

Die Bilder zu diesem Beitrag zeigen, wie die Gedenkstätte heute aussieht.

Kalavryta und das Massaker heute

Von diesem Verbrechen hat Kalavryta sich im Grunde genommen bis heute nicht erholt. Es leben wieder Familien im Ort, er hat Zukunft. Aber das, was 1943 geschehen ist, prägt den Kalavryta bis heute.

Seit dem Massaker sind die Zeiger der Turmuhr auf 13:34 Uhr stehen geblieben. Die alte Grundschule beherbergt inzwischen ein Museum. Es heißt Haus unserer Helden und ist von Dienstag bis Sonntag von 9 Uhr bis 16 Uhr geöffnet. Montags ist Ruhetag. Wenn Ihr dort seid, geht auch in den Garten des Museums. Dort steht die Skulptur einer Frau mit ihren Kindern, die um ihren ermordeten Mann trauert.

Die Gräber der Opfer sind auch heute noch auf dem Friedhof. Du findest ihn auf dem Weg von der Ortsmitte zur Gedenkstätte.

Jedes Jahr zum 13. Dezember kommen die Menschen von Kalavryta unterhalb des Kreuzes zusammen. Sie verlesen die Namen der 477 Opfer und gedenken ihrer.

Roland Richter

geboren 1969 in Hannover, Jurist und Griechenland-Fan

3 Gedanken zu „Das Massaker von Kalavryta

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